(Münchner Merkur, Lkr.Süd 24.1.2014) zum Neujahrskonzert 2014
Voraus der Spielmannszug mit brillant schmetternden Trompeten, schillerndem Gesang der Hörner, triumphierenden Posaunen, dynamischen Pauken und markant phrasierender Tuba. Preußens Glanz und Gloria hält Einzug in der Mehrzweckhalle zum Neujahrskonzert der Blaskapelle Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Da braucht’s keine Streicher und Sänger!
VON MANFRED STANKA
Höhenkirchen-Siegertsbrunn – Bayerische und preußische Märsche stehen auf dem Programm unter der Devise “Bayern grüßt Berlin”. Im Publikum kaum Trachten, dennoch ein randvoller Saal. Und einmal mehr beweist das Blasorchester, in zwei Formationen aufgeteilt, die erste agiert vor der Pause, die zweite danach, wie es alles zu klingendem Gold machen kann, was ihnen ins Mundstück kommt. Der erste Komponist, den der fabelhafte Dirigenten-Allrounder Konrad Sepp ins Spiel bringt, heißt Gottfried Piefke, und das ist trotz lächelnder Zuhörer kein noch so gelungener, wenn auch verspäteter Neujahrsscherz. Der Militärmusiker, der schon mal mit dem Degen dirigiert haben soll, nahm am Krieg Preußen gegen Österreich 1866 teil. Am 31. Juli fand eine große Parade auf dem Marchfeld bei Gänserndorf etwa 20 Kilometer nordöstlich von Wien statt. Beim Einzug in die Stadt marschierten sowohl der Schöpfer des “Königgrätzer Marsch” und “Preußens Gloria” und auch dessen 1,90 Meter großer Bruder Rudolf an der Spitze des Musikkorps ein. Als Reaktion sollen die Wiener ausgerufen haben: “Die Piefkes kommen”, und die Reaktion darauf nahm kulturgeschichtliche Dimensionen an. “Piefke” mutierte zum Symbol des überheblichen, erfolgreichen aber ungeliebten Deutschen. Die Bayern aber bleiben schon mal von diesem Verdikt via Austria ausgenommen.
Konrad Sepp hat hier genaue Quellenforschung getrieben, mehr noch, er veredelt das marschmäßige “Preußens Gloria” mit einem weichen, wunderbar homogenen Ensembleklang. Aber mehr noch als die schiere Schönheit und Variabilität des Klangs, die auch die folgenden Interpretationen auszeichnen, mehr noch aber begeistert es, wie Sepp ein wenig schärfer zur Tat die Gangart angibt. Zu recht, es handelt sich hier um einen zackigen Marsch, der aber doch mit der dem bayrischen Gemüt angeborenen Feinzeichnung interpretiert wird. Solche feine Differenzierung lässt das Blasorchester auch dem “Wiener Praterleben” von Siegfried Translateur zukommen, zumal das Stück sich wirklich jeglicher ZackZack-Attitüde verweigert. Also senden die Berliner einen “Gruß an Oberbayern” , und das Ensemble nimmt ihn begeistert entgegen. Meisterlich ausgeführte Tonmalerei und perfektes Zusammenspiel gehen somit Hand in Hand. Der Berliner Bär kuschelt mit dem bayerischen Löwen.
Der “Holzschuhtanz” aus der komischen Oper “Zar und Zimmermann” des in 1801 in Berlin geborenen und dort auch 1851 verstorbenen Albert Lortzing erklingt nicht lautstark derb, sondern wird mit der Raffinesse französischer Ballettmusik verfeinert und behält doch seine auftrumpfende Vitalität.
Zur Zeit feiert die Berliner Operette der Jahrhundertwende ihr Comeback und also finden sich auch deren Meister wie Walter Kollo, jawohl der Vater des WagnerTenor Rene Kollo, und Paul Lincke in der zweiten Programmhälfte wieder. Sonja Unglaub beherrscht nun das Dirigentinnenpodium, und sie fühlt sich ausgesprochen wohl in diesem Mix aus mondäner Großstadt, Gassenhauer-Frivolität und lässigem Übermut. Die Musiker scheinen Landesgrenzen nicht zu fürchten, sondern gönnen sich schon mal ein freches Solo und müssen furchtbar viel Feinarbeit unter Unglaub geleistet haben. Ihre Spreewanderungen klingen so, als müssen sie seit Jahren in den Berliner Tanzcafes aufgespielt haben, und sie sind unter den Linden ebenso beheimatet wie am Hachinger Bach. Soll sich hier eine neue Repertoire-Vorliebe ankündigen? Hoffentlich!
Aber das Konzert wäre doch ärmer geraten, hätte nicht das Orchestermitglied Eberhard Lorenz, gebürtiger Berliner und einst Opernsänger an großen Häusern, für eine Sensation gesorgt. Er lässt Linckes “Glühwürmchen” flimmern und verströmt Witz und Charme eines Großstadtbuffos. Da reicht Max Raabe nicht heran, der in diesem Metier zwar Grandioses vollbracht hat, aber seine Interpretationen sind doch zu artifiziell auf ein Publikum zugeschnitten, dem die “Berliner Luft” doch fehlt. Lorenz bat sie eingeatmet und das ist hörbar in jeder Phrase.